Back to the Future
Seit 1980 ist „Schwachsinn“ heilbar. Schwachsinn, sagen Sie? Da gibt Ihnen die Gegenwart Recht. In der Vergangenheit lagen die Dinge nicht so eindeutig.
In den fortschrittsgläubigen, sogar –versessenen 50er- und 60er-Jahren schien das Erstrebenswerte grundsätzlich auch als machbar, und die Menschen hatten angesichts von Ereignissen wie der Mondlandung auch keinen Anlass, an diesem Prinzip zu zweifeln. So galt dann eben „Schwachsinn“ als potenziell heilbar, ebenso wie Krebs (der allerdings erst ab 1990). Vorhergesagt wurden Entwicklungen dieser Art von so genannten Futurologen. Das war eine zumindest wissenschaftsnahe Disziplin, und als solche durchaus anerkannt. Freilich an den Rändern etwas unscharf: So galten etwa auch Gene Roddenberry, der Schöpfer des „Raumschiff Enterprise“, oder der Schriftsteller Aldous Huxley als Futurologen. Auch die Abgrenzung zwischen Zukunftsforschern, wie Futurologen heute üblicherweise bezeichnet werden, und so genannten Trendforschern ist nicht trennscharf, auch wenn sie auf der Hand liegt: Wo sich Trendforscher mit bekannten Phänomenen beschäftigen und voraussagen, ob sich diese in der Gesellschaft durchsetzen können, stoßen Futurologen in bislang unbekannte Sphären vor.
Muster in großen Datenmengen zu erkennen, überlässt man besser Computern und Algorithmen.
Magnus Lindqvist
Futurologe
Fliegende Autos, flache Bildschirme
Das war in den 60er-Jahren durchaus wörtlich zu verstehen. Das fast schon stereotype Bild für zukünftige Technologie war nämlich das fliegende Auto. Immer wieder tauchten fliegende Teppiche aller Art in den Visionen auf, vom Mini-Hovercraft bis zur Interkontinentalrakete mit Photonen-Antrieb. Alles für den Hausgebrauch, versteht sich, und alles bis zum damals fast magischen Jahr 2000 realisiert. Aber es gab auch durchaus bodenständigere Prognosen. Eine populäre war diejenige des „Farbfernsehers, der sich wie ein Bild an die Wand hängen lässt“. Diese Vorhersage hat sich bekanntlich erfüllt – erstaunlich angesichts der Tatsache, dass damals Farbfernsehen noch eine exotische Technologie und LCD-Bildschirme völlig unbekannt waren.
Wie kam es zu dieser Prognose? Die Futurologen hatten schließlich weder die Methoden moderner Statistik und schon gar nicht deren Datenbasis zur Verfügung. Sie nutzten deshalb im Wesentlichen drei Quellen. Erstens – bekanntes Wissen, das sie extrapolierten. Wenn also bekannt war, dass die Hersteller von Fernsehgeräten bereits versuchten, die damals nussbaumfarbenen Ungetüme etwas wohnraumtauglicher zu machen, dann lag der Schluss nahe, dass diese Entwicklung weitergehen würde. Zweitens – empirische Sozialforschung. Wenn also aus Befragungen abzuleiten war, dass sich Konsumenten flache Bildschirme wünschten, war zu erwarten, dass sich Wissenschaft und Industrie anstrengen würden, diesen Wunsch kommerziell erfüllbar zu machen. Und drittens – Spekulation.
Analytics: Effizienz statt Fantasie
Zugegeben: Diese Vorgehensweise machte die Ergebnisse vergnüglich und lesenswert. Bemannte Mondsiedlungen oder Glaskuppeln über ganz Manhattan mochte man sich gerne nach Feierabend vorstellen – für die Wirtschaft waren solche Visionen zu fantastisch und zu ungenau. Dem lag ein zentrales Problem zugrunde: Die Prognosen entsprangen nicht Daten, sondern Vorstellungen. Kein Wunder: Daten waren nicht in ausreichendem Maße zentral vorhanden, und es hätte auch gar nicht die Werkzeuge gegeben, sie entsprechend auszuwerten.
Das hat sich im Big-Data-Zeitalter grundlegend geändert. Heute ist die Information da, wie sich was in Zukunft entwickeln wird – und mit welcher Wahrscheinlichkeit. Man muss sie nur finden. Genau das ist aber mit Instinkt und Intuition eines Futurologen alleine längst nicht mehr machbar. Wer im Datensee, wie er etwa von den sozialen Netzwerken permanent gespeist wird, nach relevanten Mustern und Strukturen suchen will, braucht technologische Hilfe. Einerseits ist das eine Speicher- und Datenbanktechnologie, mit der es wirtschaftlich vertretbar wird, diese riesigen Datenmengen überhaupt für die Untersuchung vorzuhalten. Das leistet heute und zukünftig Hadoop.
Pragmatische Prognosen
Andererseits sind es analytische Werkzeuge, die diese Daten in sinnvoller Zeit in sinnvolle Zusammenhänge bringen. Das nennt sich dann Big Data Analytics – und wird längst eingesetzt. Wenn es zum Beispiel darum geht, in Transaktionen von Versicherungen nicht nur potenzielle Betrugsfälle zu erkennen, sondern auch vorherzusagen, in welchen Konstellationen und Situationen organisierte Gruppen ebenso organisierten Betrug verüben könnten, dann ist das auch eine Art Zukunftsforschung, wenn auch ganz pragmatisch und ohne Flugautos. In solchen Zusammenhängen ist Futurologie also in der Wirtschaft angekommen.
Kein Wunder also, dass renommierte Zukunftsforscher der Neuzeit die technologische „Konkurrenz“ sehr ernst nehmen. „Maschinen gefährden zunehmend meinen Job. Zumindest, wenn es um Makro-Analytics geht. Muster in großen Datenmengen zu erkennen, überlässt man besser Computern und Algorithmen“, sagt zum Beispiel der schwedische Forscher Magnus Lindqvist.
Ganz ohne den Geist der „alten“ Futurologen geht es aber auch im Big-Data-Zeitalter nicht. Ein Prognostiker von heute braucht Daten, Methoden und Werkzeuge – aber er braucht auch Neugier. Dieser Meinung ist auch Lindqvist: “Um überraschende Elemente aufzuspüren und zu erkennen, bedarf es des menschlichen Geistes.“
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